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ProgramTDJW-Projekt »MIRROR // MIRROR« startet im Mai 2022
Das Theater der Jungen Welt startet im Mai das dreiteilige Theaterprojekt »MIRROR // MIRROR«, bei dem sich Jugendliche und junge Erwachsene mit NS-Zwangsarbeit in der Leipziger Vergangenheit und Formen von Rechtsextremismus in der Gegenwart beschäftigen.
Bei der heutigen Pressekonferenz wurde das Projekt in seinen drei Teilen vorgestellt. Anwesend waren neben Intendantin Winnie Karnofka und den Projektbeteiligten vom TDJW die Vorstandsvorsitzende der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) Dr. Andrea Despot sowie Dr. Josephine Ulbricht von der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig..
»MIRROR // MIRROR« ist der Titel des Gesamtprojekts, das aus einem interaktiven Theaterstück, einem mobilen Smartphone-Game und einem partizipativen künstlerischen Stadtteilprojekt besteht.
Das TDJW möchte der jungen Generation mit dem Projekt neue Zugänge zur Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Nationalsozialismus und Rechtsradikalismus bieten, die jenseits von Lektüre, Dokumentationen und Schulstoff über Methoden des Theaters und der Interaktion Wissen vermitteln und zu Reflexionen anregen: Was hat die NS-Vergangenheit mit unserem Leben heute zu tun? Was haben wir aus der Geschichte gelernt? Was noch nicht? Was wünschen wir uns für unsere Zukunft? Eine Ende Januar 2022 erschienene repräsentative Studie des rheingold-Instituts im Auftrag der Arolsen Archives verdeutlichte jüngst das große Interesse der sogenannten Generation Z an der NS-Zeit.
»Wir sehen, dass es ein starkes Bedürfnis der jungen Generation gibt, zu verstehen, was zur Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist – und inwiefern die Gefahr besteht, dass sich die Geschichte wiederholen kann«, so TDJW-Intendantin Winnie Karnofka. »Wir haben das Projekt ins Leben gerufen, um die Erinnerungskultur vor allem für junge Menschen zu fördern. Gleichzeitig sind Projekte wie dieses, die sich der Geschichte widmen, immer auch intergenerativ. Bei ›MIRROR // MIRROR‹ treten Menschen verschiedener Altersgruppen in den Austausch.«
»MIRROR // MIRROR« beginnt am 7. Mai mit der Premiere von »ON THE OTHER SIDE«, einem interaktiven Format zwischen Theater und Planspiel von VERAVOEGELIN, das das Publikum in die Welt der Likes und Follows, der Troll-Attacken und Bot-Armeen versetzt und erkundet, warum soziale Netzwerke so häufig Desinformation, Verschwörungsideologien und Extremismus begünstigen. In »ON THE OTHER SIDE« befindet sich das Publikum in einer Welt, in der alle Social-Media-Unternehmen ihre Dienste in Europa eingestellt haben. Europa ist ein digitales Wasteland. Jedoch nicht lange: »Hydra« heißt die neue Social-Media-Plattform, die das Publikum in einer Studie nun spielerisch testen darf. In Gruppen eingeteilt gilt es, die eigenen Interessen zu vertreten und Follower:innen zu sammeln – aber kann man systemische Phänomene wie Filterblasen und Echokammern vermeiden? Welches Interesse hätte »Hydra« daran? Und kann ich als Individuum im digitalen Raum überhaupt etwas ausrichten?
Im Mai startet außerdem der partizipative Projektteil »THE FUTURE IS YOURS« mit einem ersten Kennenlernworkshop am 8. Mai. In dem Projekt setzen sich Teilnehmende aus dem Leipziger Osten gemeinsam mit der Choreographin Magda Korsinsky und dem Theaterpädagogen Thomas Blum mit den Geschichten ehemaliger Zwangsarbeiter:innen auseinander. Unter anderem blicken sie dabei auf Formen von Widerstand, z.B. auf Sabotageakte, die die Zwangsarbeiter:innen unter Lebensgefahr an der vom Rüstungskonzern HASAG in Leipzig produzierten Kriegsmaschinerie vornahmen. Auch Theater, Musik und Literatur spielten für diesen Widerstand eine wichtige Rolle, wie Erzählungen ehemaliger Inhaftierter belegen. Im Austausch mit Nachfahren von Zwangsarbeiter:innen fragt »THE FUTURE IS YOURS« außerdem danach, wie Solidarität in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aussehen kann. Das Projekt mündet in eine Präsentation im November. Interessierte aus dem Leipziger Osten können sich ab sofort anmelden unter t.blum(at)tdjw.de.
Im September wird das digitale Spiel »TRACING REMEMBRANCE« gelauncht, das per App auf die Spuren der Geschichte von NS-Zwangsarbeit in Leipzig führt. Gamedesigner und Kurator Sebastian Quack nutzt dafür die Form des mobilen Games, das mit fragmentarischen Originalzeugnissen arbeitet und in dem sich die Spieler:innen mit dem Smartphone durch die Stadt bewegen, ähnlich dem bekannten Spiel »Pokemon Go«. Doch hier geht es nicht darum, Monster zu sammeln, vielmehr findet man sich als Spieler:in dieses Adventure Games in einem merkwürdigen Arbeitsverhältnis wieder: In der nahen Zukunft hat ein findiges Tech-Unternehmen es geschafft, direkte Zugänge in die Gedanken und Erinnerungen von Menschen zu öffnen. Die Spieler:innen sind Mitarbeitende des Unternehmens. Sie kommunizieren mit Kolleg:innen, nehmen Aufträge an und sammeln Erinnerungen. Plötzlich aber tauchen Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit wie Störgeräusche an allen möglichen Orten der Stadt auf, die man zuvor für historisch unbelastet gehalten hat. Nach und nach werden die Spielenden immer tiefer in die Frage hineingezogen, wie sie mit diesen Erinnerungsfetzen umgehen sollen. Wer hat ein Interesse daran, sie zu bewahren? Welche Möglichkeiten bieten sich durch den Zugang zu ihnen? Und wer will sie am liebsten einfach löschen?
Zur Motivation, das Projekt »MIRROR // MIRROR« ins Leben zu rufen, erzählt Winnie Karnofka: »Ein Grundgedanke war, dass wir Orte der Auseinandersetzung mit deutscher Erinnerung und Gegenwart suchen – mit Theatermitteln die leicht zugänglich sind, emotional ansprechen und herausfordern. Hinter Geschichte stecken immer Menschen mit ihren Erlebnissen, sei es in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Hier kann Theater als Ort der Empathie und des Diskurses wichtige Zugänge schaffen.«
Auch die seit einigen Jahren kursierende Kontroverse um die höchst problematische Nutzung eines Gebäudes des ehemaligen KZ-Außenlagers »HASAG Leipzig« für Veranstaltungen der Neonazi-Szene. Das Gebäude befindet sich seit 2007 in Privatbesitz, wodurch ein angemessenes Gedenken an dem Ort nicht möglich ist.
Für »MIRROR // MIRROR« arbeitet das TDJW eng mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig zusammen. Das Projekt wird vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) und der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) im Förderprogramm »Bildungsagenda NS-Unrecht« gefördert.
Zu »MIRROR // MIRROR« gehören diese drei Projektteile:
In Kooperation mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig.
Weitere Kooperationspartner sind das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig und Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig.
Audiomitschnitt der Pressekonferenz
Hier können Sie den Audiomitschnitt unserer Pressekonferenz herunterladen. Die Nutzung ist im Rahmen einer Berichterstattung über das TDJW lizenzfrei.
- Audiomitschnitt PK vom 08.03.2022 zum TDJW-Projekt »MIRROR // MIRROR« (mp3)Details